Die Vorgeschichte
20 Jahre lang bemüht sich die BKW um eine unbefristete Betriebsbewilligung für das AKW Mühleberg.
1971 | Am 24. Februar erhält das AKW Mühleberg für die 1. Phase die Inbetriebnahmebewilligung. Sie ist auf Ende 1971 beschränkt. Dann wird sie bis Ende 1972 verlängert. |
1972 | Das AKW Mühleberg geht in Betrieb und erhält in der Folge befristete Betriebsbewilligungen von jeweils wenigen Monaten bis zu einem Jahr. |
1990 | Nach einer grösseren Nachrüstung (SUSAN) will die BKW, dass die Betriebsbewilligung in eine unbefristete Betriebsbewilligung umwandelt wird. Dazu wird ein Betriebsbewilligungsverfahren mit Auflage eines Sicherheitsberichts durchgeführt. |
1992 | Der Bundesrat erteilte dem AKW Mühleberg eine auf 10 Jahre befristete Betriebsbewilligung bis zum Jahr 2002. |
1998 | Nach einer Reparatur des Kernmantels ersuchte die BKW erneut um eine unbefristete Betriebsbewilligung für das AKW Mühleberg. Der Bundesrat verlängerte die Betriebsbewilligung um weitere zehn Jahre und ohne Verfahren bis ins Jahr 2012. |
2004 | Das vierte der fünf Schweizer AKW, Beznau 2, erhält eine unbefristete Betriebsbewilligung. |
2005 | Am 25. Januar 2005 – wenige Tage vor Inkrafttreten des neuen Kernenergiegesetzes am 1. Februar 2005 — ersucht die BKW den Bundesrat, die Befristung vom 14. Dezember 1992 aufzuheben. Das AKW Mühleberg sei das einzige AKW der Schweiz mit einer befristeten Betriebsbewilligung. Dies sei eine stossende Rechtsungleichheit. |
2006 | 14. Juni: Das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) lehnt am 14. Juni 2006 das Gesuch der BKW ab: Voraussetzung für den Betrieb des Atomkraftwerks über das Jahr 2012 hinaus sei ein atomrechtliches Bewilligungsverfahren nach dem neuen Kernenergiegesetz |
2006 | 13. Juli: Gegen diesen Entscheid legt die BKW bei der Eidg. Rekurskommission für Infrastruktur und Umwelt (REKO/INUM) Beschwerde ein. In der Beschwerdeschrift heisst es: es sei festzustellen, ob die Befristung nach neuem Kernenergiegesetz vom 1.1.2005 nichtig sei und sollte sie rechtens sein, so sei sie aufzuheben. Die REKO/INUM lehnt das Gesuch ab, die BKW wehrt sich aber gegen den Entscheid und geht vor Bundesverwaltungsgericht (Bundesverwaltungsgericht) |
2007 | 8. März: Das Bundesverwaltungsgericht hat das Verfahren von der REKO/INUM übernommen und entscheidet, dass die bestehende Befristung gültig ist und dass das UVEK zu erwägen habe, ob die Befristung der Bewilligung aufzuheben sei, lässt es dem UVEK also offen, wie das Verfahren weiterzuführen sei. Der unklare Entscheid ist auf das Kernenergiegesetz zurückzuführen, welches zwar Bewilligungsverfahren beim Bau oder der Erweiterung von Atomanlagen kennt, jedoch keine Regelung für Fragen der Umwandlung von Bewilligungen für bestehende AKW. |
Das UVEK vertritt weiterhin die Auffassung, dass die Befristung der Betriebsbewilligung für das AKW Mühleberg nur in einem Bewilligungsverfahren nach Kernenergiegesetz (KEG) aufgehoben werden könne. Es zieht das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ans Bundesgericht weiter. Unabhängig davon, ob das UVEK die Aufhebung der Befristung in einem formellen Bewilligungsverfahren nach KEG oder – wie vom Bundesverwaltungsgericht gefordert – in einem Wiedererwägungsverfahren prüfen wird, müssen Betroffene aus der Umgebung des AKW Mühleberg angehört werden. | |
2008 | Das Bundesgericht entscheidet am 21. Januar 2008 die Aufhebung der Befristung der Betriebsbewilligung: Für das AKW Mühleberg sei nicht das gleiche Verfahren durchzuführen, wie für die Erteilung einer Betriebsbewilligung gemäss Kernenergiegesetz (KEG). Das UVEK habe das entsprechende Gesuch der BKW nach den Regeln über die Wiedererwägung von Verfügungen zu behandeln.Dazu das UVEK. Dazu die BKW. |
Endlich ist die öffentliche Mitwirkung möglich. Die Bewohnerinnen und Bewohner der Zonen 1 und 2 rund um das AKW Mühleberg haben die Möglichkeiten Einsprache zu machen und wir nähern uns der Gesichte unseres Vereins. Zuerst aber noch dies:
Datum | Was «passiert» ist | Dokumente / Ordner dazu |
2008 | ||
21. Januar | Das Bundesgericht entscheidet am 21. Januar 2008, dass für die Aufhebung der Befristung der Betriebsbewilligung nicht das gleiche Verfahren durchzuführen sei, wie für die Erteilung einer Betriebsbewilligung gemäss Kernenergiegesetz. Das UVEK habe das entsprechende Gesuch der BKW nach den Regeln über die Wiedererwägung von Verfügungen zu behandeln. | Kernenergiegesetz (KEG)Dazu das UVEKDazu die BKW. |
13 und 14. Juni | Das «Gesuch um Aufhebung der Befristung der Betriebsbewilligung» der BKW ist in den betroffenen Gemeinden öffentlich aufgelegt. Die Gesuchsunterlagen erweisen sich als veraltet und simpel. Ein Sicherheitsbericht fehlt. | Gesuchsunterlagen (Stellungnahme zur PSÜ 2005) |
16. Juni | EinsprecherInnen aus der Zone 1 um das AKW Mühleberg beantragen beim Bundesamt für Energie (BFE) Einsicht in weitere Akten, welche in einem Betriebsbewilligungsverfahren normalerweise mit aufgelegt sein müssen. | Mustereinsprache vom Juli 2008 der Bewohnerinnen und Bewohner der Zonen 1 und 2 rund um das AKW Mühleberg. |
14. Juli | Von Privaten, Organisationen, Politischen Parteien, Städten und Gemeinden treffen insgesamt 1900 Einsprachen gegen die unbefristete Betriebsbewilligung für das AKW Mühleberg ein. | Mustereinsprache vom Juli 2008 der Bewohnerinnen und Bewohner ausserhalb der Zonen 1und 2 rund um das AKW Mühleberg |
10. November | Das UVEK verfügt, dass die EinsprecherInnen der Zone 1 keine weitere Akteneinsicht erhalten. Dagegen reichen diese am 12.12.2008 eine Klage vor Bundesverwaltungsgericht ein. | |
2009 | ||
27.4. bis 26.5.: | Das BfE legt an seinem Hauptsitz in Ittigen (BE) die Akten öffentlich auf. Wer im Juni 2008 Einsprache erhoben und umfassende Einsicht verlangt hat, kann die Akten einsehen. Wie sich zeigt, handelt es sich dabei bloss um 30 Seiten einer Stellungnahme der BKW und um 60 Seiten des ENSI zu den Einsprachepunkten. | |
Mitte Mai: | Fokus Anti-Atom und andere dem Verein Mühleberg-Ver-fahren nahestehende Organisationen und Privatpersonen rufen dazu auf, sich zu den Stellungnahmen des ENSI und der BKW zu äussern und ihrerseits eine Stellungnahme ans BfE einzusenden. Fokus Anti-Atom verfasst eine Muster-Stellungnahme, die auf umfangreichen Recherchen und der Stellungnahme des Ökoinstitut Darmstadt beruht. Die Stadt Bern, sowie mehrere Umweltorganisationen, Parteien und Private nehmen Stellung. Wie viele es insgesamt sind, ist nicht bekannt. | Stellungnahme von Fokus Anti-Atom langStellungnahme von Fokus Anti-Atom kurz |
12. Juni | Die Einsprechenden der Zone 1, welche im Juni 2008 eine Einsprache eingereicht hatten, erhalten eine Fristverlängerung für ihre Gegenstellungnahme. Ihr Anwalt liefert mit Hilfe von Fokus Anti-Atom und dem Ökoinstitut Darmstadt termingerecht eine fundierte Gegenstellungnahme ein. Ihre Argumente: Die Stellungnahmen des ENSI und der BKW reichen nicht aus, den aktuellen Zustand des Atomkraftwerks zu beurteilen. Es gibt keinen anlagentechnischen Sicherheitsbericht und es werden Sachverhalte erwähnt, die nicht überprüfbar sind. Dies trifft insbesondere für die Notkühlung, den Schutz gegen Erdbeben und die Alterungsüberwachung zu. Es ist inakzeptabel, dass die BKW gegenüber der NOK, der Betreibergesellschaft des AKW Beznau II, bevorzugt behandelt wird, welche im analogen Verfahren 2004 sämtliche Unterlagen öffentlich auflegen musste. | |
22. Juni | Das Bundesverwaltungsgericht weist die eine Beschwerde der Klägerinnen ab. Sie erhalten keine Einsicht in den Sicherheitsbericht und die Risikoanalyse der BKW. Das Bundesverwaltungsgericht stützt somit den Entscheid des UVEK. | |
17. Dezember | Das UVEK erteilt dem AKW Mühleberg eine unbefristete Betriebsbewilligung. Gegen diesen Entscheid kann beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde einreichen, wer bereits im Juni 2008 gegen das Gesuch der BKW für die unbefristete Betriebsbewilligung Einsprache erhoben hatte und in der Zone 1 und 2 wohnt. |
Verfahren 1: Beschwerde gegen die unbefristete Betriebsbewilligung
108 Personen erheben am 1. Februar 2010 Beschwerde gegen die unbefristete Bewilligung des AKWs Mühleberg. Das Bundesverwaltungsgericht gibt ihnen Recht, das Bundesgericht jedoch schmettert am 28. März 2013 die Beschwerde ab. Nicht genug: es erhebt das ENSI zur alleinigen Kontrollinstanz über alle Nuklearangelegenheiten und hebelt das 4-Augen-Prinzip aus.
Datum |
Was geschah |
Dokumente dazu |
17. Dezember 2009 | Das UVEK erteilt dem AKW Mühleberg eine unbefristete Betriebsbewilligung. Dagegen kann vor Bundesverwaltungsgericht Beschwerde erhoben werden. Zur Beschwerde berechtigt sind jene Personen aus den Zonen 1 und 2 rund um das AKW Mühleberg, die bereits im Juni 2008 Einspruch erhoben und beim Bundesamt für Energie (BFE) Einsicht in die Akten zum Bewilligungsverfahren verlangt hatten | |
1. Februar 2010 | Anwalt Rainer Weibel reicht beim Bundesverwaltungsgericht im Namen von 108 Mandanten und Mandantinnen eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des UVEK vom 17. Dezember 2009 ein.Die Beschwerde fusst auf diversen Defiziten, die das AKW Mühleberg aufweist:
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2. Februar 2010 | Die Gründungsversammlung: Der Verein Mühleberg-Ver-fahren wird am 2. Februar 2010 gegründet.
Der Verein Mühleberg-Ver-fahren strengt juristische Verfahren zur Stilllegung des Atomkraftwerks Mühleberg an. Insbesondere stellt der Verein den direkt betroffenen und den sie vertretenden Personen finanzielle Mittel zur Verfügung. Er kann weitere Verfahren berücksichtigen, sofern sie in einem engen Zusammenhang stehen. Der Verein vertritt gegen aussen die Verfahren mit allen ihm zur Verfügung stehenden politischen und gewaltfreien sowie materiellen und rechtlichen Mitteln. | Dokumente zur Gründungsversammlung
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1. März 2012 | Das Bundesverwaltungsgericht gibt den Beschwerdeführenden Recht. | |
14. März 2012 | UVEK und BKW ziehen den Fall ans Bundesgericht weiter. | |
29. Juni 2012 | Das AKW Mühleberg reicht seine Anträge für die Konzeptfreigabe zu den Nachrüstungen ein. Das ENSI hatte diese Nachrüstungen in der Verfügung vom 5. Mai 2011 gefordert. Die Forderungen betreffen die Kühlmittelversorgung des Notstandsystems und das Kühlsystem der Brennelementlagerbecken. | |
30. Juli 2012 | Das Bundesverwaltungsgericht anerkennt die Forderung der AtomgegnerInnen. Es setzt eine Befristung für den Betrieb des AKW Mühleberg auf den 28. Juni 2013 an. Voraussetzung für eine Verlängerung bilde ein neues Gesuch der BKW mit einem Instandhaltungskonzept. | Dokumente zu der Verhandlung
Medienbericht in Der Bund |
??? | Die BKW reicht ein Instandhaltungskonzept ein, das aber (ebenso wie das neue Gesuch) nicht öffentlich aufgelegt wird. | |
28. März 2013 | Das Bundesgericht widerruft das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts und erteilt dem AKW Mühleberg eine unbefristete Bewilligung. Es beschliesst ausserdem, dass das ENSI die einzige Kontrollinstanz in Sachen Nuklearenergie ist. Das ENSI soll in Zukunft ohne Zweitmeinung (ohne das Vieraugenprinzip) über die Sicherheit von AKW entscheiden. | Medienmitteilung von Mühleberg-Ver-fahren
Das Bundesgerichtsurteil
Ausgewählte Medienberichte vom 28. März 2008 zum Entscheid des Bundesgerichts |
Verfahren 2: Gesuch um Entzug der Betriebsbewilligung
Nach dem Fukushima Super-GAU vom 11. März 2011 stellen Personen aus der Zone 1 und 2 an das UVEK das Gesuch um Überprüfung der Betriebsbewilligung des AKWs Mühleberg. Sie erhalten vor Bundesverwaltungsgericht und vor Bundesgericht Recht. Das UVEK muss auf das Gesuch eintreten.
Datum |
Was geschah |
Dokumente dazu |
11. März 2011 | Wieder ein Super-GAU! Ein Erdbeben beschädigt die Reaktoren des AKW in Fukushima. Deutschland legt aus Sicherheitsgründen acht Reaktoren still. Täglich kommen Nachrichten von Mängeln bei den Schweizer AKWs, insbesondere bei Mühleberg an die Öffentlichkeit. Doch ENSI und UVEK haben zu wenig Rückgrat – bzw. sind zu sehr verbandelt, um sich gegen die BKW zu stellen. | |
22. März 2011 | Personen aus der Zone 1 und 2 verlangen die materielle Überprüfung der Betriebsbewilligung des AKW Mühleberg. Die Fukushima-Reaktoren sind vom selben Typ wie das AKW Mühleberg und dieses ist bei weitem nicht auf dem Stand der Technik. Markante Mängel sind: der rostende Kernmantel, die fehlende diversitäre Kühlquelle, die fehlende Erdbebenfestigkeit des Brennelementelagerbeckens. Zudem liegt das AKW Mühleberg unmittelbar unterhalb eines nicht erdbebenfesten 100-jährigen Staudamms, was bei einem Bruch der Mauer zu einer bisher unerkannten Flutwelle und der Blockierung der Notkühlung führen könnte. | Mühleberg-Ver-fahren an der Medienkonferenz
Das Gesuch |
30. Sept. 2011 | Das UVEK tritt nicht auf das Gesuch ein. Die AnwohnerInnen der Zone 1 und 2 erheben Beschwerde vor dem Bundesverwaltungsgericht | Die Meinung von Mühleberg-Ver-fahren
Die Verfügung des UVEK
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30. Juli 2012 | Die Beschwerde wird im Sinne der Erwägungen gutgeheissen, und die Sache wird zur materiellen Beurteilung des Gesuchs um Entzug der Betriebsbewilligung an die Vorinstanz zurückgewiesen | Das Urteil des Bundesverwaltungsgericht
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14. Mai 2013 | Das Bundesgericht bestätigt den Entscheid des Bundesverwaltungsgericht: Das UVEK muss das nach dem Fukushima Super-GAU von den Personen aus der Zone 1 und 2 um Mühleberg eingegangene Gesuch um Entzug der Betriebsbewilligung für das Atomkraftwerk Mühleberg vom ENSI prüfen lassen. Das Urteil wird Mitte Juni öffentlich. | Die Reaktion von Mühleberg-Ver-fahren
Das Urteil Die Reaktionen auf das Urteil vom 14. Mai |
12. Juli 2013 | BfE zur Verfahrens- fortführung und Gesuch der Beschwerdeführer um Sistierung des Verfahrens und Akteneinsicht. | Das Gesuch
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Aus der Homepage des Verein Mühleberg Ver-fahren
Das AKW Mühleberg – Im Erstfall eine wahre Katastrophe
Bei einem Ernstfall wären rund eine Viertelmillion Menschen im näheren Umkreis um das AKW Mühleberg stark betroffen. Darunter auch die Bevölkerung der Städte Bern und Freiburg. Die Wahrscheinlichkeit eines Störfalls ist angesicht der vielen technischen Mängel, realistisch. Und sie wird mit jedem Monat, der das AKW länger in Betrieb ist, grösser.
Das Atomkraftwerk Mühleberg der Bernischen Kraftwerke BKW-Energie AG liegt am linken Aareufer flussabwärts rund 14 km westlich von der Stadt Bern. Folgende 7 Gemeinden umgeben das AKW: Radelfingen, Wohlen, Frauenkappeln, Mühleberg, Ferenbalm, Wileroltigen und Golaten. Insgesamt wären bei einem Ernstfall 21’00 Personen in der Zone 1 und rund eine Viertelmillion Menschen in der Zone 2 von der Katastrophe direkt betroffen.
Auf einen Notfall sind wir nicht vorbereitet
Der Katastrophenschutz der Schweiz ist nicht auf eine Reaktorkatastrophe in Mühleberg vorbereitet. Es fehlt an vielem: an konkreten Evakuationsplänen, an genügend rasch bezugsbereiten «Schutzräumen», an Strahlen-Messinstrumenten und an Behandlungsplätzen für Strahlenkranke. Die Behörden gehen bei der Notfallschutzplanung von Annahmen aus, die das reale Risiko bei weitem unterschätzen. Im Notfall wird sich das Verwirrspiel um Grenzwerte und Sicherheitsmassnahmen wie es bei der Tschernobylkatastrophe 1986 der Fall war, wiederholen.
Die Notfallschutzplanung, die bei einem Reaktorunfall in Mühleberg zum Zuge käme, teilt die Schweiz in 3 Alarmzonen auf, in denen unterschiedlich schnell und gründlich informiert werden soll: Zone 1 bis 2,8 Kilometer, Zone 2 bis 20 Kilometer und Zone 3 der Rest der Schweiz. Die Notfallschutzplanung des ENSI.
… und ausserdem anfällig auf Störfälle
1971: Der erste Grossunfall
Bereits während der Testphase gab es den ersten Grossunfall. Im Sommer 1971 hatte die Bewilligungsbehörde den Betrieb bis maximal die Hälfte der vollen Last erlaubt. Bei Versuchen kam es am Abend des 28. Juli 1971 zu einem Brand im Maschinenhaus. Die Ursache war ein Austritt von Hydrauliköl aus dem Steuerölsystem der Turbogruppe B. Der Brand führte zu Zerstörungen im Maschinenhaus, u.a. waren Stromkabel betroffen. Dies führte dazu, dass Sicherheitssysteme ausfielen, so etwa je eines der beiden Toruskühlsysteme und Vergiftungssysteme. Etwas später fiel das Notabluftsystem vollständig aus.
Auf der Kontrollwarte gab es zahlreiche Fehlalarme, was den Überblick über den Anlagenzustand erschwerte. Mit den verbliebenen funktionsfähigen Sicherheitssystemen konnte die Anlage heruntergefahren werden. Dies war zum Zeitpunkt des Störfalls vergleichsweise einfach, weil wegen der damals kurzen Betriebszeit wenig Nachwärme abgeführt werden musste. Erst nach mehreren Stunden und mit Hilfe von externen Feuerwehren konnte der Brand gelöscht werden. Die Inbetriebnahme musste unterbrochen werden. Die Schadensbeseitigung kostete 22 Mio Franken.
Mühleberg, ein Reaktor der ersten Generation!
Mitte der sechziger Jahre planten die damaligen Bernischen Kraftwerke AG (BKW) ein Atomkraftwerk. Nach einer Ausschreibung vereinigten sich zwei Anbieter für Teilanlagen zu einem Konsortium, das die Anlage gemeinsam errichten sollte. Der eine Partner war die GETSCO, eine Tochterfirma des US-amerikanischen General Electric Konzerns. Dieser Partner war für die nuklearen Teile zuständig. Der andere Partner war die schweizerische Brown Boveri & Cie (heute ABB), die für die konventionellen Teile wie Turbinen, elektrische Anlagen und weitere Systeme zuständig war. Der amerikanische Partner gab vor, welcher Reaktortyp errichtet werden sollte. Es war ein flusswassergekühlter Siedewasserreaktor des Typs BWR-4; als Containment wurde das so genannte Mark-I-Containment von General Electric gewählt.
Das Mark-I-Containment ist eine ältere Entwicklung aus den USA und wurde schon zu Beginn der siebziger Jahre aufgegeben und durch andere Konstruktionen mit sicherheitstechnischen Vorteilen ersetzt. Bereits während dem Bau des AKW-Mühleberg, konstruierten die Techniker von General Electric aufgrund von Sicherheitsmängeln das Mark-II- und als letzten Typ das Mark-III-Containment (Leibstadt).
Das Eidgenössische Verkehrs- und Energiedepartement (EVED) erteilte der BKW am 21.7.1965 die Standortbewilligung. Der Auftrag für das Atomkraftwerk Mühleberg wurde am 1. September 1966 unterzeichnet. Vereinbart wurde eine «schlüsselfertige Lieferung». Am 1. April 1967 erfolgte der erste Spatenstich. Die Bauarbeiten wurden bis 1971 weitgehend beendet. Nachdem zuvor schon verschiedene Systeme kalt (ohne Brennstoff) getestet worden waren, erfolgte am 1. März 1971 die erste Kritikalität (Erste Kettenreaktion im Reaktor unter Abgabe von Radioaktivität und Energie).
Um den Zusammenhang der Atomenergienutzung mit den Atombomben zu vertuschen, vollzogen die AKW-Betreiber und der «Schweizerische Verein für Atomenergie« (SVA) anfangs der siebziger Jahre einen interessanten Sprachwechsel. Bis 1971 findet sich in praktisch allen Veröffentlichungen immer die Bezeichnung «Atomkraftwerk Mühleberg» oder die Kurzform «AKM», später wurde dann auf die harmlosere Bezeichnung «Kernkraftwerk Mühleberg» bzw. «KKM» umgestellt.
Geschichte der Siedewasserreaktoren
Das Prinzip des Siedewasserreaktors wurde in den Fünfziger Jahren in den USA entwickelt. Träger der technischen Entwicklung war General Electric, einer der grossen Konzerne des Elektroanlagenbaus in den USA. Der erste Siedewasserreaktor, der vornehmlich zur Stromerzeugung gebaut war, war der 1955 bestellte und 1960 in Betrieb genommene Reaktor Dresden-1 (USA). Diesem folgten zunächst einige technisch noch sehr unterschiedlich ausgeführte Prototypreaktoren. Einige davon wurden in den USA errichtet, andere wurden von General Electric in andere Länder exportiert, die für die Atomenergienutzung gewonnen werden sollten. Diese Länder waren die Bundesrepublik (3 Anlagen), Indien (2), Italien (1), Niederlande (1). Diese Prototypreaktoren, sind inzwischen bis auf einen stillgelegt. Sie wurden nicht kommerziell erworben, sondern durch nationale bzw. internationale Programme subventioniert. Den Durchbruch erreichte General Electric erst, als ein Serienreaktor entwickelt wurde. Es war der Siedewasserreaktor mit Mark-I-Containment.
Die 40 Pannen des AKWs Mühleberg
Quelle: Beobachter und Mühleberg-Ver-fahren
1967 | Beginn der Bau des AKWs Mühleberg am 1. April 1967. Er dauert fast ein Jahr länger als geplant. |
1971 | Juni: Elf Schnellabschaltungen in einem Monat. |
1971 | 28. Juli: Brand im Maschinenhaus während des Probebetriebs (Reaktor schon «kritisch»). |
1972 | Vibrationen im Torus, nachdem Reaktordampf eingeleitet wird. Der Torus muss umgebaut werden. |
1972 | Nach einer Panne in den Hüllrohren der Brennelemente entweicht Radioaktivität über den Kamin. |
1972 | April: Sieben Schnellabschaltungen in einem Monat; eine davon gemäss Aufsichtsbehörde «aus nicht eruierbarem Grund». |
1973 | 3. April: Offizielle Einweihung. |
1973 | Sommer: Ein stark beschädigter Brennelementkasten wird entdeckt. Sämtliche 228 Brennelementkästen müssen ersetzt werden. |
1974 | Oktober: Die vier Speisewasser-Verteilringe im Reaktor sind an einer Stelle gebrochen und an drei weiteren Stellen angerissen. Sie werden ersetzt. |
1979 | Februar: Am Zaun des Atomkraftwerks beträgt die Strahlung 400 Millirem pro Jahr (entspricht vier Millisievert). |
1985 | Sommer: Während der Revision Austausch von 1300 der 14’000 Röhrchen des Kondensators, da diese Löcher aufweisen. |
1986 | Juni: Ersatz der Umwälzschlaufen in einem stark kontaminierten Teil der Anlage. Kosten: zirka 35 Millionen, dazu 17 Millionen für den Produktionsausfall. |
1986 | September: Filterpanne. Während Tagen gelangen unbemerkt radioaktive Staube über den Kamin in die Umwelt. |
1986 | Kontamination von sechs Personen mit Jod-131 bei Inspektionsarbeiten wegen undichter Brennelemente. |
1989 | Taste für die manuelle Auslösung einer Reaktor-Schnellabschaltung ist defekt. |
1989 | Das verbunkerte Notstandssystem SUSAN wird in Betrieb genommen. |
1990 | Am Kernmantel werden erstmals Risse entdeckt. |
1996 | Einbau der Zuganker am Kernmantel. |
1997 | 19. Juli: Steuerelement eines Speisewasserventils ist defekt. Darauf steigt das Niveau im Reaktor an, es folgt ein Turbinenschnellschluss, das Reaktorniveau fällt, es kommt zur Schnellabschaltung. |
1998 | 23. Juni: Ein Operateur öffnet irrtümlich ein Abblaseventil. Er will es wieder schliessen, der Druck des Reaktordampfs ist aber zu hoch. Das Niveau im Reaktor muss von Hand gesteuert werden. |
1999 | Mai: Hochwasser dringt in Kellergeschosse ein. |
1991–2000 | In der Berichtsperiode fallen achtmal Umwälzpumpen aus, in vier Fällen beide Pumpen gleichzeitig. 1996 sind es allein drei Ausfälle der Pumpe A, ausgelöst durch ein störungsanfälliges Überwachungssystem. |
2001 | Schnellabschaltung nach Ausfall der Speisewasserpumpe im Maschinenhaus. |
2002 | Beim Test der Notstromdieselgruppe SUSAN-A kommt es zu einer Störung. Fazit der Aufsichtsbehörde: «Ein Grund für das Fehlverhalten konnte nicht festgestellt werden.» |
2005 | August: Hochwasser überflutet Teile der Anlage. |
2006 | Beschädigung der Entlüftungsleitung der Saugleitung der Speisewasserpumpe A. Fazit der Aufsicht: «Ursache im Bereich des menschlichen Verhaltens und der Organisation». |
2006 | Sommer: Risse in der Kernsprühleitung entdeckt. «An den Schweissnähten der Kernsprühleitung werden vier bewertungspflichtige Anzeigen festgestellt» (HSK-Bericht 2007). |
2007 | Während der Revision: Ein Greifer des Hilfshubwerks öffnet sich fälschlicherweise, ein Brennelementkasten rutscht auf den Boden des Brennelementbeckens ab. |
2007 | August: Ebenfalls während der Revision: Die Wechselmaschine (Kran) wird nach einer Reparatur über dem offenen Reaktor ausprobiert, ein Blechteil löst sich und verschwindet im Reaktor. |
2007 | Hochwasser überflutet Teile der Anlage. |
2007 | Es wird bekannt, dass Risse im Kernmantel weitergewachsen sind. Die aufsummierte Länge aller bis 2002 bekannten Risse beträgt 1737 Millimeter. Die grösste Risstiefe beträgt 90 Prozent, die mittlere Risstiefe etwa 50 Prozent der Wandstärke. |
2009 | 2. September: Bei Prüfungen der Rundnähte wird erstmals ein Riss im Reaktordruckbehälter entdeckt. |
2009 | 14. September: Der Ausfall einer Speisewasserpumpe wird simuliert, die erneuerte Reservepumpe springt nicht an. |
2010 | Februar: «Gesundheitstipp» weist um das AKW und in der Aare radioaktives Tritium und Kobalt-60 nach. |
2010 | Vier Umwälzpumpenausfälle in zwei Monaten, dazu eine Teilabschaltung. |
2010 | 8. September: Ein Hochdruck-Einspeisesystem steigt aus. Eine Leitung ist nicht abgeschirmt und wird durch elektromagnetische Felder eines benachbarten Motors gestört. |
2011 | Die BKW nimmt das AKW Mühleberg vorübergehend vom Netz. Die Wasserversorgung des Notfallsystems hat offensichtlich Mängel. |
2012 | 8. Februar: Ein Messgerät wird an der falschen Speisewasserpumpe angebracht. Die Verwechslung führt zu einer Reaktor-Schnellabschaltung. |
2013 | 14. Juli: Forscher finden Spuren radioaktiven Cäsiums im Bielersee. Das ENSI gibt dazu folgendes bekannt: «Die Ursache für die erhöhten Abgaben sind nicht auf Zwischenfälle zurückzuführen, sondern auf die endlagerfähige Konditionierung von Altharzen aus dem Zwischenlager mit der im Jahr 1995 in Betrieb genommenen Verfestigungsanlage CVRS.» |
2013 | 14. August 2013: Bei einem Test vor der Entladung der Brennelemente aus dem Reaktor kommt es zu einer Schnellabschaltung. ENSI, Betreiber und Nuklearforum verheimlichten das Vorkommnis bis zum 21.11.2013. |