Energiestrategie 2050

Im Mai 2017 stimmte die Schweizer Stimmbevölkerung zur Energiestrategie 2050 ab. Die bärner studizytig hat im Vorfeld zwei Experten zur Gesetzesvorlage befragt, die in der Debatte um die Kernenergie von unterschiedlicher Perspektive her argumentieren. Horst-Michael Prasser, Professor für Kernenergiesysteme an der ETH Zürich und Jürg Joss, Automationstechniker, Fokus Anti-Atom.


Ein fairer Kompromiss?

und 20. Mai 2017

Morgen wird sich die Schweizer Stimmbevölkerung zur Energiestrategie 2050 äussern. Die bärner studizytig hat deshalb zwei Experten zur Gesetzesvorlage befragt, die in der Debatte um die Kernenergie von unterschiedlicher Perspektive her argumentieren.

Wandelt man diese Tage durch die Bahnhöfe des Landes, fühlt man sich in den Spätherbst vorigen Jahres zurückversetzt: Kohlestrom, Stromimporte, Stromausfälle. Dieselben Schlagwörter wie bei der Atomausstiegsinitiative prangen an den Wänden. Angesichts des emotional aufgeladenen Themas „Atomkraftwerke“ verwundert es nicht, dass auch die Debatte zur Energiestrategie 2050 primär über die Kernkraft-Diskussion geführt wird. Sie werde jedoch zu emotional geführt, findet Horst-Michael Prasser, Professor für Kernenergiesysteme an der ETH Zürich, sollte doch das eigentliche Ziel einer Energiestrategie die Abkehr von fossilen Energieträgern sein.

Die durch den Fukushima-Effekt hervorgerufene Stimmung gegen Atomkraftwerke betrachtet er kritisch, denn sie führe dazu, dass Gefahren und Probleme, die von anderen Energien ausgehen, missachtet werden. Jürg Joss vom Verein „Fokus AntiAtom“ hingegen findet, die Erkenntnisse aus dem Reaktorunfall in Fukushima seien schon zu sehr in Vergessenheit geraten, und Entscheide von damals  teils rückgängig gemacht. Die Atomenergie befinde sich zudem im Abstieg: Baukosten und Bauzeit neuer Reaktortypen stiegen und die grossen Energieproduzenten der Schweiz seien nicht mehr daran interessiert, neue Atomkraftwerke zu bauen.

Auf die Frage, ob der Betrieb von Kernkraftwerken sicherheitstechnisch heute noch verantwortbar sei, verweist Joss auf das Alter der Schweizer Reaktoren. Beim Bau das Atomkraftwerks Beznau wurde seinerzeit minderwertiger Stahl für den Bau des Reaktordruckgefässes verwendet und Mühleberg leide seit bald dreissig Jahren an einem korrodierten Kernmantel. «Heute gilt es als vernünftig, die ältesten AKWs der Welt nicht abzuschalten, obwohl sie unter Alterungsproblemen leiden». Nicht zu verantworten ist laut Horst-Michael Prasser hingegen ein Ausstieg aus der Kernenergie.

Die Schweiz gebe ein schlechtes Vorbild ab, wenn sie als ein technologisch hochentwickeltes Land mit einer sehr guten Sicherheitskultur im Kernenergiebereich «falsche Signale» aussende. So könnten seit zwei Jahrzehnten Reaktortypen mit passiven Sicherheitssystemen, die keine externe Energiezufuhr benötigen, gebaut werden. Einen Ausfall der Sicherheitssysteme, wie ihn die Kernschmelze in Fukushima ausgelöst hatte, könnte in dieser Weise also nicht mehr passieren.

Die Frage nach der Endlagerung von atomaren Abfällen beantwortet Prasser mit Optimismus: «Die Tiefenlagerung der radioaktiven Abfälle in der Schweiz wird gelöst werden.» Wie das geschehen soll, lässt er offen. Die Endlagerung im Opalinuston sei allerdings ein überzeugendes Konzept. Jürg Joss gibt jedoch zu bedenken, dass über diese Methode noch zu wenig bekannt sei, so könne etwa erst mithilfe von Erkundungsstollen abschliessend geklärt werden, ob sich die Gesteinsschicht ausreichend ruhig verhalte, um radioaktive Abfälle zu beherbergen.

Für Prasser jedoch sind die bisher bekannten Eigenschaften des Opalinustons überzeugend genug. Ebenfalls zur Genüge erforscht sei die Nachzerfallswärme. Sie führt zu einer Erhitzung der Lagerbehälter und erhöht deren Korrosionsgefahr. Die Bedingungen im Opalinuston, sowie grosszügige Sicherheitsmargen, sorgen laut Prasser jedoch dafür, dass dies nicht geschehe. Joss weist dennoch auf ein verbleibendes Sicherheitsrisiko hin.
Im Bereich der erneuerbaren Energien sieht Prasser dringenden Bedarf an Erweiterung, besonders aufgrund ihrer Umweltfreundlichkeit. Dass die billigen Produktionskosten der Kernenergie der Entwicklung von erneuerbaren Energien im Weg stehen, findet der ETH-Professor nicht und verweist auf fossile Energieträger als scheinbar einzige Alternative, um die vom Atomstrom hinterlassene Lücke zu füllen. Erneuerbare Energien liessen zudem noch viele Fragen unbeantwortet, so Prasser weiter. Etwa bei der Speicherung der Energie, wofür nicht genügend Lithium vorhanden sei, verbrauche doch die „Gigafactory” von Tesla 30 % der jährlich weltweit geförderten Lithium-Menge. Die 35 Gigawattstunden, die Tesla damit speichere, entsprächen dem europäischen Stromverbrauch von weniger als einer Stunde. Weiter, gibt der ETH-Professor zu bedenken, entstünden auch bei der Produktion von Photovoltaikzellen giftige Abfälle, weshalb er Kernkraft als genauso sauber wie erneuerbare Energien erachte.

Joss sieht Batterien nur mittelfristig als Speicherlösung, der Grossteil der Energie gehe im Moment in Wasser-Speicherkraftwerke . Langfristig würden aber andere Systeme als Speicherlösungen wichtig. Dazu zählt er Luftdruckspeicher, nennt aber auch die Biomethanisationsanlagen, die sich seiner Meinung nach durchsetzen werden. Batterien würden ausserdem auch in AKWs für den Notstrombetrieb eingesetzt und seien neben Stahl und Beton Teil der Giftabfälle, die bei der Herstellung von Atomstrom entstünden. Deshalb sei die Gleichstellung von Solarpanelen mit Atomabfällen „eine masslose Übertreibung.“ Einerseits könnten die Materialien der Photovoltaikzellen zum grossen Teil wiederverwendet werden, andererseits entstünden nicht nur in den AKWs selbst, sondern auch beim Abbau des Urans, toxische Abfälle. Eine Produktion von Energie, die keinen Abfall verursacht , ist Joss zu folge ohnehin nicht möglich, darum sei es wichtig, in erster Linie einen effizienteren Energieverbrauch anzustreben, denn das Sauberste sei noch immer, so wenig Strom wie möglich zu produzieren.
Einig werden sich die Experten wohl nur darin, dass die Vorlage ihren Vorstellungen nicht gerecht wird. Kommendes Wochenende wird also über eine Energiestrategie abgestimmt, mit der beide Lager wenig anfangen können. Insofern folgt sie der Tradition des gutschweizerischen fairen Kompromisses, der niemanden zufriedenstellt.

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